Der berühmte S-Stuhl: Ein ehrlicher Blick aus der Werkstatt – von der Reparatur bis zur Pflege
Ich werde nie den ersten dieser besonderen Stühle vergessen, der vor vielen Jahren in meine Werkstatt gerollt wurde. Ein Kunde brachte ein Original, sichtlich in die Jahre gekommen, und bat um eine komplette Frischzellenkur. Das Leder war spröde, der Schaumstoff darunter hatte sich quasi in Staub verwandelt. Aber diese Form… diese elegante S-Kurve auf dem runden Fuß, die war immer noch absolut beeindruckend. Mein erster Gedanke war: „Das ist keine Sitzgelegenheit, das ist eine begehbare Skulptur.“
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Ganz ehrlich, diese Begegnung hat meine Sicht auf Möbel für immer verändert. Die kreativen Köpfe dahinter waren nicht einfach nur Designer, sondern echte Visionäre, die uns Handwerker ganz schön herausgefordert haben. Die ursprüngliche Idee war, einen Stuhl zu schaffen, der wie eine Pflanze aus dem Boden wächst, ganz ohne die klassischen vier Beine. Wenn man so ein Stück wie ich zerlegt, versteht man erst die ganze Genialität, die darin steckt. Es ist einfach eine perfekte Symbiose aus Form, Funktion und Material.

Das Geheimnis der Stabilität: Wie ein Stuhl fast ohne Beine auskommt
Viele Kunden fragen mich ungläubig: „Wie kann das Ding überhaupt halten?“ Die Antwort ist kein Hexenwerk, sondern clever angewandte Physik, verpackt in einem umwerfenden Design.
Das Rückgrat des Stuhls: Der innere Stahlrahmen
Das Herzstück ist ein unsichtbarer Rahmen aus Stahlrohr, der in eine präzise S-Form gebogen ist. Dieser Rahmen nimmt die gesamte Last auf und leitet sie ab. Die Macher haben hier das Prinzip des Freischwingers genutzt, das man von anderen Designklassikern kennt, es aber clevererweise komplett unter der Polsterung versteckt.
Wenn du dich hinsetzt, fängt dieser Rahmen dein Gewicht sanft federnd auf – das macht diesen leicht wippenden, super angenehmen Sitzkomfort aus. Bei alten Originalen ist das Erste, was ich prüfe, immer dieser Rahmen. Ich leuchte jede Biegung und Schweißnaht ab, um nach winzigen Haarrissen zu suchen. Das kommt zwar selten vor, aber nach Jahrzehnten der Nutzung kann Materialermüdung eben ein Thema sein.

Der Anker am Boden: Trompete oder Kreuz?
So eine schlanke Silhouette braucht natürlich einen bombenfesten Stand. Dafür gibt es im Grunde zwei bewährte Lösungen:
- Der Trompetenfuß: Ein runder, flacher Fuß aus massivem Aluminiumguss. Sein hohes Gewicht und die breite Auflagefläche ziehen den Schwerpunkt des Stuhls weit nach unten. Das ist pure Physik – ein tiefer Schwerpunkt sorgt für maximale Stabilität. Da kippelt nichts!
- Der Kreuzfuß: Oft drehbar und manchmal mit Rollen, ist diese Variante perfekt für den Ess- oder Schreibtisch. Auch hier sorgen die breit ausgestellten Arme für einen sicheren Stand auf jedem Untergrund.
Kleiner Tipp für den Wackel-Check: Ein häufiger Fehler ist zu denken, ein wackeliger Stuhl sei ein Totalschaden. Meistens ist es nur eine lockere Schraube! Das ist eine 2-Minuten-Reparatur, die du selbst erledigen kannst. Leg den Stuhl vorsichtig auf die Seite und schau dir die Unterseite an. Dort, wo der Fuß mit dem Sitz verbunden ist, findest du eine große zentrale Mutter. Die ziehst du mit einem passenden Schraubenschlüssel (meistens ein 17er oder 19er) einfach wieder fest. Problem gelöst!

Die Königsdisziplin: Warum das Polstern eine echte Kunst ist
Einen dieser Stühle neu zu beziehen, ist, ehrlich gesagt, eine Meisterprüfung für jeden Polsterer. Durch die nahtlose Optik verzeiht der Stuhl absolut keine Fehler. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.
Zerlegen, staunen und… staubsaugen
Wenn ein altes Schätzchen bei mir landet, ziehe ich zuerst vorsichtig den alten Bezug ab. Was darunter zum Vorschein kommt, ist oft eine traurige Angelegenheit. Der alte Schaumstoff zerfällt bei der kleinsten Berührung zu einem feinen, gelben Staub, der muffig riecht. Das ist das untrügliche Zeichen: Hier muss alles neu.
Der nackte Stahlrahmen wird dann gereinigt und auf Schäden geprüft. Ein bisschen Flugrost ist kein Problem, aber strukturelle Schäden gehören in die Hände eines Schlossers – was zum Glück die absolute Ausnahme ist.
Schaumstoff ist nicht gleich Schaumstoff
Jetzt kommt der entscheidende Teil für Komfort und Form. Man kann nicht einfach eine x-beliebige Schaumstoffmatte draufkleben. Wir verwenden heute hochwertige Kaltschäume (HR-Schaum), die nicht nur langlebig und atmungsaktiv sind, sondern auch modernen Brandschutzvorschriften genügen. Die Kunst liegt darin, die richtige Dichte (Raumgewicht, kurz RG) und Härte zu wählen. Für die Sitzfläche nehme ich immer einen etwas festeren Schaum (z. B. RG 45) als für die Rückenlehne, um den perfekten Kompromiss aus Halt und Bequemlichkeit zu finden.

Stoff, Zuschnitt und die Sache mit der Dehnung
Da der Bezug über eine komplexe 3D-Form gespannt wird, braucht das Material eine gewisse Elastizität. Reine Baumwolle? Keine Chance, das wirft Falten. Ideal sind hochwertige Wollstoffe oder spezielle Möbelstoffe mit einem leichten Stretch-Anteil. Die Haltbarkeit misst man übrigens in Martindale-Zyklen. Für den normalen Hausgebrauch sollten es mindestens 20.000 sein, für ein Wartezimmer eher 80.000. Mein Rat: Spar niemals am Stoff!
Der Zuschnitt ist dann Millimeterarbeit. Man näht quasi einen passgenauen Strumpf. Ist er einen Zentimeter zu klein, kriegst du ihn nicht drüber. Ist er zu groß, hast du hässliche Falten. Da gibt es keine zweite Chance.
Wenig bekannter Trick: Die ursprüngliche Idee des Designers war es wohl, den Bezug mit einem Reißverschluss zu versehen, um ihn leicht wechseln zu können. Das war in der Produktion aber zu kompliziert und teuer. Deshalb wird die letzte Naht an der Unterseite von Hand mit einem unsichtbaren „Matratzenstich“ geschlossen – ein Detail, das die handwerkliche Qualität unterstreicht.

Original oder Neuauflage – Was ist die bessere Wahl?
Die dänische Firma, die heute die offiziellen Lizenzen besitzt, macht einen fantastischen Job. Sie bewahren den Geist des Originals, passen die Stühle aber an heutige Standards an. Die Entscheidung zwischen alt und neu ist daher eine echte Philosophiefrage.
Ein Original hat natürlich einen unvergleichlichen historischen Charme und Patina. Es erzählt eine Geschichte. Du musst aber oft mit höheren Restaurierungskosten rechnen und eventuell mit kleinen Macken leben. Preislich liegt ein restaurierungsbedürftiges Stück vielleicht zwischen 250 € und 500 €, ein gut erhaltenes Original kann aber schnell über 1.000 € kosten.
Eine Neuauflage vom offiziellen Hersteller bietet dir hingegen geprüfte Qualität, moderne und sichere Materialien (FCKW-freie Schäume, zertifizierte Stoffe) und natürlich eine Garantie. Die Mechanik ist oft noch einen Tick präziser. Dafür fehlt die gelebte Geschichte. Preislich starten die neuen Modelle, je nach Ausführung und Bezug, bei etwa 1.200 € aufwärts.
Am Ende musst du dich fragen: Will ich den Charme und die Geschichte eines Originals oder die Perfektion und Sicherheit einer Neuauflage?

Worauf du beim Kauf und bei der Pflege achten solltest
So ein Stuhl ist eine Anschaffung fürs Leben. Damit du lange Freude daran hast, hier ein paar ehrliche Tipps aus der Werkstatt.
Tipps für den Kauf eines gebrauchten Stuhls
- Mach den Sitz-Test! Fühlt sich der Stuhl stabil an oder knarzt er? Ein leises Knarren kann okay sein, ein lautes Ächzen deutet auf Probleme hin.
- Prüfe den Schaumstoff: Drück fest auf die Sitzfläche. Fühlt sie sich fest an und springt sofort zurück? Super. Fühlt sie sich hart, bröselig an oder bleibt eine Delle, ist der Schaum hinüber.
- Bedenke die Folgekosten: Ein scheinbar günstiger Stuhl für 300 € wird schnell teuer. Eine professionelle Neuaufpolsterung ist aufwendig. Rechne mal durch: Guter Möbelstoff kostet zwischen 80 € und 150 € pro Meter (du brauchst ca. 1,5 Meter), dazu kommt der spezielle Kaltschaum für ca. 80 € und dann die Arbeitszeit für das Zerlegen, Polstern und die knifflige Handnaht. Insgesamt landest du schnell bei Gesamtkosten von 700 € bis 1.500 € für eine komplette Restaurierung.
- Schau dir den Fuß an: Hat der Chrom unschöne Pickel (Rost unter der Oberfläche)? Das lässt sich nur schwer beheben. Kratzer im Lack sind normal, tiefe Schrammen ärgerlich.

Pflegetipps vom Fachmann
- Stoffbezüge: Regelmäßig mit der Polsterdüse auf niedriger Stufe absaugen. Das entfernt Schmutzpartikel, die sonst wie Schmirgelpapier wirken. Flecken sofort mit einem trockenen Tuch abtupfen – nicht reiben!
- Lederbezüge: Leder braucht Fett und Feuchtigkeit. Alle paar Monate mit einem pH-neutralen Reiniger säubern und danach eine gute Lederpflege auftragen. Und bitte: Nicht in die pralle Sonne oder direkt an die Heizung stellen.
- Das Gestell: Chrom polierst du am besten mit einem weichen Tuch und Glasreiniger. Pulverbeschichtete Füße sind pflegeleicht, hier reicht ein feuchtes Tuch.
Wann der Profi ran muss (und wo du einen findest)
Auch wenn der Stuhl robust ist, gibt es Grenzen. Bitte versuch nicht, ihn selbst neu zu polstern, wenn du keine Erfahrung hast. Die Gefahr, teuren Stoff zu ruinieren und ein faltiges Ergebnis zu bekommen, ist riesig.
\p>Du brauchst definitiv einen Fachmann, wenn der Stuhl stark wackelt (und das Festziehen der Schraube nichts bringt) oder der Schaumstoff durch ist. Eine professionelle Restaurierung dauert je nach Auftragslage der Werkstatt etwa 2 bis 4 Wochen. Um eine gute Werkstatt zu finden, such online nach „Polsterei für Designklassiker“ oder „Möbelrestaurator“ in deiner Nähe. Ein Kostenvoranschlag gibt dir dann Klarheit.
Ein Stuhl, der vorher nach Keller roch und dessen Form kaum noch erkennbar war, wird so wieder zu einem strahlenden Kunstwerk im Wohnzimmer. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Bei einem solchen Designklassiker lohnt sich die Investition fast immer. Er wird nicht nur dich überleben, sondern wahrscheinlich auch noch die nächste Generation. Und das ist in unserer schnelllebigen Welt vielleicht die schönste Eigenschaft, die ein Möbel haben kann.


