Wie zum Teufel hält das? Ein Meister erklärt das Geheimnis schwebender Gebäude
Ich bin jetzt schon ein paar Jahrzehnte als Handwerksmeister auf dem Bau unterwegs. Hab alte Fachwerkhäuser saniert, deren Balken dir Geschichten erzählen konnten, und an hypermodernen Glaspalästen mitgeschraubt. Aber ganz ehrlich? Wenn du vor einem Gebäude stehst, das anscheinend mitten in der Luft schwebt, dann hältst selbst du als alter Hase mal die Luft an. Mein erster Gedanke war nicht „Wow, was für eine Kunst!“, sondern schlicht und ergreifend: „Wie zum Teufel hält das?“
Inhaltsverzeichnis
Als Handwerker siehst du die Welt einfach anders. Du siehst nicht nur die schöne Fassade, sondern die Fugen, die Anschlüsse, die Lasten, die da wirken. Du fragst dich sofort, welche cleveren Ingenieure und fleißigen Hände dahinterstecken. Und genau so ein Fall war diese faszinierende Installation in einer europäischen Großstadt. Für die Touristen pure Magie. Für mich eine Meisterklasse in Statik, Materialkunde und präziser Fertigung. Kommt mit, wir schauen uns das mal genauer an – nicht mit den Augen eines Kunstkritikers, sondern mit denen eines Meisters, der wissen will, wie der Trick funktioniert.

Schein und Sein: Die Physik hinter der Illusion
Auf den ersten Blick? Ein massives Stück alter Steinbau. Rissig, verwittert, schwer. Unser Gehirn schreit sofort: Das wiegt Tonnen! Ein Kubikmeter Sandstein bringt es locker auf über 2.000 Kilogramm. Nehmen wir mal an, dieses schwebende Stück wäre nur vier mal zwei mal vier Meter groß – das wären 32 Kubikmeter. Bei echtem Stein kämen wir da schnell auf 70 bis 90 Tonnen. Eine solche Last einfach so aufzuhängen, wäre statisch ein Albtraum und finanziell ein Fass ohne Boden.
Und genau hier liegt der erste geniale Trick: das Material. Was aussieht wie Stein, ist keiner. Die ganze schwebende Hülle ist ein extremes Leichtgewicht. Die Physik lässt sich nicht überlisten, die Schwerkraft gilt immer. Also reduziert man die Masse, auf die sie wirkt. Die eigentliche Kunst ist es, ein anderes Material so zu bearbeiten, dass es wie alter, ehrwürdiger Stein aussieht.
Lass uns mal kurz vergleichen, damit das klar wird:

- Gewicht: Echter Sandstein wiegt, wie gesagt, Tonnen. Die Imitation aus Hightech-Schaumstoff wiegt fast nichts. Wir reden hier von einem Unterschied von über 95 %. Der schwebende Teil dieser Installation wog am Ende inklusive des Stahlgerüsts im Inneren vielleicht 15 Tonnen. Immer noch so viel wie drei große SUVs, aber ein Witz im Vergleich zu den fast 90 Tonnen echten Steins!
- Kosten: Echten Stein in dieser Form zu bearbeiten, wäre extrem teuer. Der Schaumstoff und seine Bearbeitung sind deutlich günstiger, auch wenn die Veredelung der Oberfläche ihre Zeit und ihr Geld kostet.
- Statik: Für 90 Tonnen bräuchtest du ein monströses Fundament und ein Gegengewicht wie einen Panzer. Für die leichtere Variante reicht eine clever dimensionierte Stahlkonstruktion.
Der zweite Trick ist simple Physik: das Hebelgesetz. Kennst du von der Wippe auf dem Spielplatz. Das schwebende Gebäudeteil ist das leichte Kind am langen Ende der Wippe. Das schwere Kind, das es in der Luft hält, ist ein massives Gegengewicht, das geschickt im am Boden verbliebenen Gebäudeteil versteckt ist. Die ganze Konstruktion ist also perfekt ausbalanciert. Keine Magie, nur saubere, angewandte Mechanik.

Ein Blick in die Werkstatt: So entsteht die Illusion
So ein Projekt wird nicht einfach auf der Baustelle zusammengezimmert. Das ist das Ergebnis monatelanger Planung und Vorfertigung in der Werkstatt. Hier arbeiten Ingenieure und Handwerker Hand in Hand.
Der Werkstoff: Ein Leichtgewicht mit Tarnkappe
Das Herzstück ist expandiertes Polystyrol, kurz EPS. Die meisten kennen es als Styropor von der Wärmedämmung. Es ist federleicht und lässt sich genial bearbeiten. Für so ein Projekt nimmt man aber keine Standardplatten, sondern hochverdichtete Blöcke. Die sind stabiler und erlauben feinste Details.
Die grobe Form des Gebäudes wird am Computer in 3D entworfen und dann von einer riesigen, computergesteuerten CNC-Fräse millimetergenau aus dem EPS-Block geschnitten. Das ist pure Präzision.
Aber der spannendste Teil ist die Veredelung. Wie wird aus weißem Schaumstoff glaubwürdiger alter Stein? Das ist eine Kunst für sich, die auch Stuckateure oder Kulissenbauer perfekt beherrschen. Zuerst wird eine spezielle Grundierung aufgetragen, dann mehrere Schichten einer mineralischen Spachtelmasse. In die noch feuchte Masse werden dann Risse, Fugen und die raue Textur eingearbeitet. Zum Schluss folgt die Bemalung mit verschiedenen Lasuren, um die Patina von Jahrzehnten zu erzeugen. Dunkle Vertiefungen, helle Kanten, Spuren von Moos… pure Handarbeit. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Gut gemacht, merkt man den Unterschied erst, wenn man draufklopft. Ich erinnere mich an eine alte Villa, da mussten wir zerstörte Stuckelemente nachbilden. Der Bauherr war erst skeptisch, aber am Ende hat nicht mal der Experte vom Denkmalschutz was gemerkt, bis er mit dem Fingerknöchel dagegen schnippte.

Das unsichtbare Skelett
Der Schaumstoff ist nur die Haut. Im Inneren steckt ein stabiles Skelett aus Stahl oder Aluminium, das die ganze Last trägt. Und hier kommt der wichtigste Mann im Hintergrund ins Spiel: der Statiker. Er berechnet alles. Nicht nur das Eigengewicht, sondern vor allem die Windlast! So eine große Fassade wirkt wie ein Segel. Bei einem ordentlichen Sturm können da Kräfte wirken, die einem Kleinlaster entsprechen, der dagegen drückt. Seine Berechnungen sind Gesetz. Punkt.
Das Gegengewicht, das im unteren Teil der Konstruktion versteckt ist, besteht meist aus schweren Betonblöcken oder Stahlplatten. Für die erwähnte Installation dürften das locker 40 Tonnen oder mehr gewesen sein – genug, um die 15 Tonnen des schwebenden Teils plus einer gewaltigen Sicherheitsmarge für Sturmböen im Gleichgewicht zu halten.
Jetzt bist du dran: Ein Mini-Projekt für den Garten (aber sicher!)
Kribbelt es dir in den Fingern? Super! Bevor du aber anfängst, dein Garagendach schweben zu lassen, probier die Technik doch mal im Kleinen. Wir bauen einen täuschend echten Deko-Felsen für dein Blumenbeet.

Deine Einkaufsliste (alles im Baumarkt für ca. 25-30 €):
- Ein Reststück Styropor oder Hartschaum (oft in der Baustoffabteilung)
- Ein kleiner Sack flexibler Fliesenkleber
- Abtönfarben in Schwarz, Ocker und vielleicht etwas Grün
- Ein alter Pinsel und eine Spachtel
Und so geht’s:
- Form geben: Brich oder schneide das Styropor in eine grobe Felsform. Je unregelmäßiger, desto besser.
- Beschichten: Rühre den Fliesenkleber an und trage ihn mit der Spachtel großzügig auf. Solange er feucht ist, kannst du mit der Spachtel oder den Fingern (Handschuhe!) Rillen und eine raue Oberfläche reindrücken.
- Trocknen lassen: Lass das Ganze mindestens 24 Stunden gut durchtrocknen.
- Farbe bekennen: Mische etwas schwarze und ockerfarbene Abtönfarbe mit viel Wasser zu einer dünnen „Brühe“. Streiche damit den ganzen Felsen ein. Die Farbe sammelt sich in den Vertiefungen. Wenn alles trocken ist, kannst du mit fast trockener, heller Farbe noch über die Kanten wischen ( nennt man „trockenbürsten“), um Highlights zu setzen. Ein paar grüne Tupfer simulieren Moos. Fertig ist dein Fake-Felsen!

Sicherheit geht vor: Was du niemals tun solltest
So, und jetzt kommt der Meister mit dem erhobenen Zeigefinger. Dieses öffentliche Kunstprojekt sieht spielerisch aus, ist aber hochkomplexe Ingenieurskunst. Absolut nichts zum Nachmachen im großen Stil!
- ACHTUNG: Unterschätze niemals Lasten und Windkräfte. Selbst eine vermeintlich leichte Platte kann bei Sturm zu einem tödlichen Geschoss werden.
- ACHTUNG: Statik ist eine Wissenschaft, keine Schätzung. Das ist ein Job für einen qualifizierten Bauingenieur. Immer. Ohne Ausnahme.
- ACHTUNG: Polystyrol ist brennbar. Im Bau wird zwar schwer entflammbares Material verwendet, aber eine schützende, mineralische Beschichtung ist unerlässlich.
Wann muss der Profi ran? Sobald eine Konstruktion tragende Funktionen hat, in die Höhe gebaut wird oder die Sicherheit von Menschen betrifft. Da gibt es keine Kompromisse. Ich habe in meiner Laufbahn leider schon genug Unfälle gesehen, die durch Leichtsinn passiert sind. Sicherheit hat immer, IMMER Vorrang.
Ein letzter Gedanke…
Dieses schwebende Gebäude ist mehr als nur ein cooler Gag. Es ist eine Verbeugung vor dem Handwerk. Es zeigt, was möglich ist, wenn kreative Visionen auf knallhartes technisches Wissen treffen. Und es erinnert uns daran, dass die beeindruckendste Arbeit oft die ist, die man gar nicht sieht: das unsichtbare Stahlskelett, die Berechnungen des Statikers und die unzähligen Stunden in der Werkstatt. Das ist keine Magie. Das ist einfach verdammt gute Arbeit.

Bildergalerie

Klingt ja gut, „Hightech-Schaumstoff“. Aber was genau ist das für ein Zeug, das Tonnen von Stein imitieren kann?
Meistens handelt es sich um eine hochverdichtete Form von expandiertem Polystyrol (EPS), das wir umgangssprachlich oft als Styropor kennen – nur in einer ganz anderen Liga. Für solche Kunstprojekte wird EPS verwendet, das extrem fest gepresst und dann computergesteuert in die exakte Form gefräst wird. Der eigentliche Clou ist aber die Beschichtung. Eine robuste Schicht aus Polyurea- oder glasfaserverstärktem Kunststoff wird aufgesprüht und anschließend von Künstlern und Stuckateuren von Hand bearbeitet. Sie meißeln Risse, malen Moos und Verwitterung auf, bis die Illusion perfekt ist. So entsteht eine Hülle, die weniger wiegt als eine Holzvertäfelung, aber die visuelle Wucht von jahrhundertealtem Mauerwerk hat.

