Das Geheimnis der Klemmkraft: Warum der perfekte Baustein so schwer nachhaltig zu machen ist
Ganz ehrlich? Ich bin von Haus aus Ingenieur und arbeite seit Ewigkeiten mit Kunststoffen. In meiner Werkstatt habe ich schon alles Mögliche geformt, von Metall bis Holz, und unzählige Polymere durch meine Hände gehen lassen. Aber kaum etwas ist so unfassbar präzise gefertigt wie ein simpler Klemmbaustein.
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Neulich habe ich meinem Enkel meine alte Kiste mit Steinen aus meiner eigenen Kindheit gegeben. Und was mir da wieder auffiel: Die jahrzehntealten Dinger passen absolut perfekt auf die brandneuen. Nach all den Jahren! Diese Beständigkeit ist das Ergebnis genialer Ingenieurskunst und eines Materials, das für seinen Zweck einfach verdammt gut ist.
Dieses Wundermaterial nennt sich Acrylnitril-Butadien-Styrol, oder kurz: ABS. Es ist der Grund für diesen satten Glanz, das vertraute „Klick“-Geräusch und vor allem für diese unerschütterliche Klemmkraft. Der Haken an der Sache? ABS wird aus Erdöl hergestellt. Und das ist heute natürlich ein Thema, an dem keiner mehr vorbeikommt.
Die großen Hersteller haben sich daher ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: in den kommenden Jahren eine wirklich nachhaltige Alternative zu finden. Das ist eine der größten Material-Herausforderungen in der gesamten Spielzeugindustrie. Es geht ja nicht darum, irgendeinen „Öko-Kunststoff“ zu nehmen. Nein, es geht darum, eine Legende neu zu erfinden, ohne ihre Seele zu opfern. Eine Aufgabe, die mich als Tüftler fasziniert.

Was einen Baustein wirklich ausmacht: Ein bisschen Physik für den Spielspaß
Um die gewaltige Aufgabe zu verstehen, müssen wir uns den klassischen Stein mal genauer ansehen. Das ist ja nicht nur ein Stück Plastik, sondern ein ganzes System, das auf Toleranzen von wenigen tausendstel Millimetern beruht. Nur zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist etwa fünfmal dicker.
Das Material: Ein perfekt abgestimmtes Trio
Jeder Bestandteil im ABS-Kunststoff hat eine ganz klare Aufgabe, wie Musiker in einem Orchester:
- Acrylnitril ist der Bodyguard. Es sorgt für Härte und chemische Beständigkeit. Deshalb verfärben sich die Steine kaum und überleben auch mal eine Runde im Spülwasser oder den Kontakt mit Kindersabber.
- Butadien, ein Kautschuk, ist der Stoßdämpfer. Es verleiht dem Material Zähigkeit. Ein Stein bricht nicht sofort, wenn er vom Tisch fällt – er federt den Stoß ganz leicht ab.
- Styrol ist für die Show zuständig. Es sorgt für die tolle glänzende Oberfläche und die nötige Steifigkeit des Ganzen.
Diese Mischung verhält sich beim Spritzgießen extrem berechenbar. Sie schrumpft beim Abkühlen in der Form nur minimal und sehr gleichmäßig. Das ist die absolute Grundvoraussetzung für diese extreme Präzision.

Die Klemmkraft: Ein Meisterstück der Reibung
Die berühmte „Clutch Power“ ist reine Physik. Sie entsteht durch die Reibung zwischen den Noppen oben und den kleinen Röhren an der Unterseite. Der Trick dabei: Die Röhren sind im Durchmesser einen Hauch enger als die Noppen. Wenn du also zwei Steine verbindest, werden die Wände der Röhren minimal gedehnt. Das Material will aber von Natur aus in seine alte Form zurück und erzeugt so eine konstante Spannung. Genau diese Spannung sorgt für den bombenfesten Halt.
Das klappt nur, weil ABS die perfekte Balance aus Steifigkeit und einer leichten Elastizität mitbringt. Wäre das Material zu weich, würden die Steine nicht halten. Wäre es zu spröde, würden die Röhren nach ein paar Mal Stecken einfach ermüden und brechen. Ein neuer Kunststoff muss exakt dieses Verhalten über Jahrzehnte hinweg nachbilden können. Puh, keine leichte Aufgabe.
Die Suche nach dem Nachfolger: Ein Blick ins Materiallabor
Die Hersteller investieren gewaltige Summen in die Forschung für nachhaltige Materialien. Das klingt nach viel Geld, ist aber für eine so grundlegende Aufgabe absolut angemessen. Die Experten dort suchen nicht einfach nach einem fertigen Material – sie müssen es quasi neu erfinden. Sie brauchen eine Rezeptur, die Dutzende von knallharten Anforderungen erfüllt.

Die Checkliste für den neuen Stein ist lang:
- Maßhaltigkeit: Der neue Kunststoff muss beim Abkühlen haargenau so schrumpfen wie ABS. Eine winzige Abweichung kann schon alles ruinieren.
- Klemmkraft: Reibung und Elastizität müssen identisch sein, damit die neuen Steine auch auf 50 Jahre alte Steine passen. Keine Kompromisse.
- Farbechtheit: Die Farben müssen leuchten und dürfen unter Sonnenlicht nicht ausbleichen. Extrem wichtig, da Farben in den Anleitungen ja auch zur Orientierung dienen.
- Sicherheit: Das Material muss die strengsten Spielzeugnormen (in Europa vor allem die EN 71) erfüllen. Es darf keine Schadstoffe abgeben, muss speichelfest und schwer entflammbar sein.
- Haptik & Akustik: Klingt banal, ist aber entscheidend. Ein Baustein muss sich richtig anfühlen und das ikonische Geräusch beim Wühlen in der Kiste erzeugen. Ein dumpfer Klang würde das ganze Erlebnis verändern.
- Langlebigkeit: Der neue Stein muss genauso ewig halten wie der alte. Echte Nachhaltigkeit bedeutet ja auch, dass ein Produkt nicht nach kurzer Zeit zu Müll wird.
Diese Liste zeigt das Dilemma: Du änderst eine Zutat und plötzlich stimmt die Farbe nicht mehr. Du verbesserst die Härte und verlierst die Klemmkraft. Es ist ein ständiges Austarieren von unzähligen Eigenschaften.

Die Kandidaten und ihre Tücken
Ich habe in meiner Laufbahn schon viele „Wunder-Materialien“ kommen und gehen sehen. Jeder neue Biokunststoff wird erstmal als die Lösung für alles gefeiert. Die Praxis ist leider oft komplizierter. Schauen wir uns mal an, was schon probiert wurde.
Für weiche Teile wie Bäume, Blätter oder Drachenflügel wird bereits ein pflanzenbasiertes Polyethylen (PE) aus Zuckerrohr genutzt. Das funktioniert super, weil es weicher und flexibler ist – aber genau deshalb ist es für die klassischen Steine ungeeignet. Es fehlt schlicht die Steifigkeit für eine verlässliche Klemmkraft.
Ein anderer spannender Ansatz waren Prototypen aus recyceltem PET (rPET), also aus alten Plastikflaschen. Die Idee ist genial: Aus Müll wird hochwertiges Spielzeug. Doch das Projekt wurde vorerst auf Eis gelegt. Aus meiner Werkstatterfahrung kann ich die Gründe gut nachvollziehen. Recyceltes Material hat immer eine schwankende Qualität. Jede Flasche hat eine andere Vorgeschichte. Das macht es extrem schwer, die engen Toleranzen konstant zu halten. Außerdem ist rPET oft spröder als frisches ABS, was der Klemmkraft auf Dauer schaden würde.

Und dann wäre da noch die Polymilchsäure (PLA), bekannt aus dem 3D-Druck, hergestellt aus Maisstärke. PLA ist zwar hart und steif, aber leider auch sehr spröde – ein Stein daraus würde vermutlich leichter brechen. Ein K.o.-Kriterium ist aber seine geringe Temperaturbeständigkeit. An einem heißen Sommertag im Auto könnte sich ein Bauteil aus PLA schon mal verformen.
Man sieht also: Die Herausforderung ist, die technischen Superkräfte von ABS mit nachhaltigen Rohstoffen zu kombinieren. Die Lösung wird wahrscheinlich keine einzelne Substanz sein, sondern eine völlig neue, clever gemischte Rezeptur – ein Betriebsgeheimnis, das strenger gehütet wird als jedes Kochrezept.
Was wir in der Zwischenzeit selbst tun können
Die Umstellung auf ein neues Material wird nicht von heute auf morgen passieren. Als Praktiker weiß ich: Solche Entwicklungen brauchen Zeit und beinhalten auch Rückschläge. Besser ein Jahr länger forschen, als ein schlechtes Produkt auf den Markt zu bringen.
Die beste Lösung? Langlebigkeit nutzen!

Was können wir als Verbraucher also tun? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: die vorhandenen Steine weiternutzen. Der nachhaltigste Baustein ist der, den es schon gibt. Die Qualität ist so absurd hoch, dass die Steine Generationen überdauern.
Der Gebrauchtmarkt ist riesig! Statt neuer Sets kann man oft kiloweise gemischte Steine auf dem Flohmarkt oder auf Online-Plattformen finden. Das schont nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel. Rechnet da mal mit Preisen um die 10 bis 15 Euro pro Kilo – ein Bruchteil des Neupreises.
Ich sehe das ja bei meinen eigenen Steinen. Die sind über die Jahre vielleicht ein wenig vergilbt (für Tüftler gibt es da übrigens Methoden wie das „Retrobrighting“, um sie wieder weiß zu bekommen), aber die Klemmkraft ist immer noch 1A. Das ist gelebte Nachhaltigkeit.
Kleiner Tipp aus der Werkstatt: Gebrauchte Steine richtig waschen
Wenn du eine Kiste gebrauchter Steine ergattert hast, willst du sie natürlich erstmal sauber machen. Keine Sorge, das ist kinderleicht:

- Vorbereiten: Pack die Steine in ein Wäschenetz oder einen alten Kissenbezug mit Reißverschluss. So fliegt nichts einzeln in der Maschine herum.
- Waschen: Ab damit in die Waschmaschine. Wähle ein Schonprogramm (Wolle oder Feinwäsche) bei maximal 30-40 Grad. Ein Spritzer mildes Spülmittel oder Feinwaschmittel dazu, aber bitte keinen Weichspüler!
- Trocknen: Nach dem Waschgang die Steine auf einem großen Handtuch ausbreiten und an der Luft trocknen lassen. Nicht auf die Heizung oder in die pralle Sonne legen, das kann dem Kunststoff schaden! Einfach geduldig sein, nach ein bis zwei Tagen ist alles wieder spielbereit.
Ach ja, und zu Programmen wie „Lego Replay“, bei denen man Steine spenden kann: Das ist eine super Sache, gibt es aber aktuell leider nicht in Deutschland. Aber hey, frag doch mal im lokalen Kindergarten, in der Grundschule oder bei sozialen Einrichtungen. Die freuen sich oft riesig über eine gut erhaltene Steinespende!
Achtung, Falle! Ein klares Wort zu Fälschungen
Wo Erfolg ist, sind Nachahmer nicht weit. Ich kann nur eindringlich vor billigen Kopien aus dubiosen Quellen warnen. Hier wird nicht nur am Material gespart, sondern vor allem an der Sicherheit.

Ich habe schon Kopien gesehen, die scharfe Kanten vom Guss hatten. Viel schlimmer ist aber, was man nicht sieht: verbotene Weichmacher, Schwermetalle in den Farben oder andere schädliche Chemikalien. Die strengen Sicherheitsnormen werden hier oft mit Füßen getreten.
So erkennst du Fälschungen auf den ersten Blick:
- Das Logo: Bei Originalen steht auf jeder einzelnen Noppe das Logo des Herstellers. Immer. Fehlt es, sind es Fälschungen.
- Die Farbgenauigkeit: Die Farben der Originale sind exakt definiert und einheitlich. Billige Kopien haben oft leicht abweichende, blassere oder ungleichmäßige Farbtöne.
- Die Qualität: Fühl mal über die Kanten. Originale sind perfekt glatt. Fälschungen haben oft kleine, manchmal sogar scharfe Überstände vom Spritzgussprozess.
Hier zu sparen, bedeutet, die Gesundheit der Kinder zu riskieren. Finger weg davon!
Ein abschließender Gedanke
Die Reise zu einem wirklich nachhaltigen Baustein ist ein Marathon, kein Sprint. Es ist ein ehrliches Ringen um die beste technische Lösung, ohne die legendäre Qualität und Sicherheit zu opfern. Als Ingenieur habe ich davor den allergrößten Respekt.

Der perfekte Werkstoff muss vielleicht erst noch erfunden werden. Aber der Versuch, ihn zu finden, treibt die Innovation an. Und am Ende des Tages ist der beste Baustein sowieso immer der, mit dem gerade ein Kind spielt – ganz egal, ob er nun aus klassischem ABS oder irgendwann mal aus einem Kunststoff auf Zuckerrohrbasis besteht.
Bildergalerie


Eine LEGO-Form hat eine Fertigungstoleranz von nur 0,002 Millimetern – das ist feiner als ein Fünftel eines menschlichen Haares.
Diese extreme Präzision ist das Geheimnis der perfekten „Klemmkraft“. Nur so wird sichergestellt, dass ein Stein aus Dänemark heute exakt auf einen Stein passt, der vor 30 Jahren in Mexiko produziert wurde. Es ist die technische Grundlage für ein unendlich erweiterbares System und den legendären Ruf der Marke.
Die Suche nach dem perfekten nachhaltigen Baustein ist ein Marathon der Materialwissenschaft. Die LEGO Gruppe hat bereits erste Meilensteine erreicht und experimentiert intensiv mit verschiedenen Ansätzen:
- Pflanzen aus Pflanzen: Seit 2018 werden weichere Teile wie Bäume und Blätter aus biobasiertem Polyethylen hergestellt, das aus Zuckerrohr gewonnen wird. Es ist flexibel, hat aber nicht die nötige Härte für klassische Steine.
- Recycelte Flaschen: Ein vielversprechender Prototyp aus recyceltem PET wurde entwickelt. Die größte Hürde hier: die konstante Farbgebung und die exakte Klemmkraft über Millionen von Steinen hinweg zu garantieren.
Jedes Material wird auf Herz und Nieren geprüft, denn am Ende muss es mit einem Stein aus dem Jahr 1960 kompatibel sein.



