Fliegende Rennautos? Ein Werkstatt-Meister schaut unter die Haube der eVTOLs

von Emma Wolf
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In meiner Werkstatt habe ich über die Jahre unzählige Motoren zerlegt. Vom robusten Schiffsdiesel bis zum kreischenden Zweitakter. Ich habe die Entwicklung vom simplen Vergaser zur hochkomplexen Direkteinspritzung hautnah miterlebt und sehe jeden Tag, wie Elektroantriebe alles auf den Kopf stellen. Aber ganz ehrlich? Die Idee, ein Rennfahrzeug senkrecht starten zu lassen, das ist eine völlig andere Hausnummer. Das ist nicht nur ein kleiner Schritt nach vorn. Das ist ein gewaltiger Sprung in eine neue Dimension des Motorsports.

Klar, viele haben schon davon gehört. Diese fliegenden Rennwagen, eVTOLs genannt, sollen in spektakulären Rennen gegeneinander antreten. Was vor ein paar Jahren noch nach reinem Science-Fiction klang, wird langsam greifbar. Doch hinter den schicken Hochglanzbildern und den rasanten Videos steckt eine technische Herausforderung, die es in sich hat. Als alter Hase aus dem Kfz-Handwerk schaue ich mir sowas natürlich ganz genau an. Ich will wissen, was da wirklich unter der Haube steckt – nicht nur die Marketing-Versprechen, sondern die knallharte Mechanik, die Physik und vor allem die Risiken. Kommt mit auf eine ehrliche Analyse dieser neuen Rennklasse.

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Mehr als nur eine XXL-Drohne: Die Physik des Schwebens

Auf den ersten Blick sieht so ein Renn-eVTOL ja aus wie eine überdimensionierte Kameradrohne. Das Grundprinzip ist auch dasselbe: Mehrere Rotoren erzeugen den nötigen Auftrieb. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Eine simple Drohne soll möglichst stabil in der Luft stehen. Ein Rennfahrzeug muss bei über 200 km/h noch auf den Millimeter präzise auf Steuerbefehle reagieren. Hier prallen Aerodynamik und brutale Leistung ungefiltert aufeinander.

Das Herzstück: Der Antrieb

Das Herz dieser Fluggeräte sind bürstenlose Gleichstrommotoren. Ach ja, ich erinnere mich noch an meine Lehrzeit, als wir an Motoren mit Kohlebürsten geschraubt haben – die Dinger waren wartungsintensiv und alles andere als effizient. Die heutigen Brushless-Motoren sind dagegen echte Wunderwerke. Sie haben ein unglaubliches Leistungsgewicht, liefern also extrem viel Kraft bei minimaler Masse. Und für ein Fluggerät gibt es, ehrlich gesagt, keine wichtigere Eigenschaft.

Jeder dieser Motoren wird von einem eigenen elektronischen Drehzahlregler (ESC) angesteuert. Man kann sich das wie ein digitales Gaspedal für jeden einzelnen Rotor vorstellen. Der Flugcomputer gibt die Befehle, und der ESC setzt sie tausendfach pro Sekunde in präzise Drehzahländerungen um. Nur so kann das Fahrzeug stabilisiert werden. Fällt diese Regelung aus, wird der Flugrenner sofort unkontrollierbar.

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Die größte Herausforderung dabei? Die Hitze. Unter Volllast werden diese Motoren und Regler unfassbar heiß. Wir reden hier ja nicht von einer gemütlichen Sonntagsfahrt, sondern von knallharten Rennbedingungen. Die Kühlung muss also absolut perfekt sein, oft eine Kombination aus Luft- und Flüssigkeitskühlung, ähnlich wie man es von High-End-Gaming-PCs kennt. Nur dass man hier keine großen Kühler hinter einer Karosserie verstecken kann. Jedes Bauteil muss aerodynamisch geformt sein und trotzdem seine Aufgabe zu 100 % erfüllen.

Der wunde Punkt: Energie für maximal 15 Minuten

Die Achillesferse der ganzen Geschichte ist und bleibt der Akku. Genauer gesagt: die Energiedichte. Ein Liter Benzin enthält rund 8,5 Kilowattstunden Energie. Der beste Lithium-Ionen-Akku schafft heute pro Kilogramm vielleicht 0,3 Kilowattstunden. Das ist ein gewaltiger Unterschied und der Grund, warum die Flugzeiten so kurz sind. Die Entwickler sprechen oft von 15 Minuten – das reicht kaum für ein einziges, kurzes Rennen.

Deshalb wurde ein ziemlich cleveres System für den Boxenstopp entwickelt: der blitzschnelle Akkuwechsel. Klingt einfach, ist aber technisch extrem anspruchsvoll. Während des Stopps wird das komplette Akkupaket getauscht. Das sind keine kleinen Batterien, sondern Hochvolt-Systeme mit mehreren hundert Volt Spannung. Aus der Werkstatt weiß ich, was ein Kurzschluss bei einem 400-Volt-System in einem E-Auto anrichtet. Ein Lichtbogen, ein lauter Knall, und das Werkzeug ist verdampft. Stellt euch das mal in der Hektik eines Boxenstopps vor… da muss jeder Handgriff sitzen.

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Der Wechsel selbst wird daher meist von einem Roboterarm erledigt, der das tonnenschwere Paket in unter 20 Sekunden austauschen soll. Das erfordert eine perfekte Abstimmung. Ein kleiner Fehler in der Positionierung, und das Rennen ist gelaufen.

Leichtbau in Perfektion: Jedes Gramm zählt

Im Flugzeugbau ist jedes Gramm zu viel ein Problem. Deshalb besteht die Struktur so eines Flugrenners fast vollständig aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff – Carbon, wie wir es nennen. Das Monocoque, also die Sicherheitszelle für den Piloten, ähnelt stark dem eines Formel-1-Wagens. Es muss extrem steif sein, um die gewaltigen Kräfte der Motoren aufzunehmen, und gleichzeitig den Piloten bei einem Unfall schützen.

Besonders kritisch sind die Ausleger, an denen die Motoren hängen. Hier wirken enorme Vibrationen und Biegemomente. Die Konstrukteure müssen einen perfekten Kompromiss finden: steif genug für eine präzise Führung, aber flexibel genug, um bei harten Manövern nicht zu brechen. Hier kommt viel Erfahrung aus dem Hubschrauberbau zum Tragen. Unsichtbare Materialfehler wären hier fatal.

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Showdown: Renn-eVTOL gegen Formel 1

Okay, aber wie schlägt sich so ein Ding im Vergleich zu etwas, das wir alle kennen? Nehmen wir mal einen Formel-1-Wagen. Der hat um die 1000 PS bei einem Gewicht von ca. 800 kg. Das ist schon brutal. Aber jetzt haltet euch fest: Die neueste Generation dieser Renn-eVTOLs bringt bei einem Gewicht von unter 1000 kg eine ähnliche Leistung. Das Leistungsgewicht ist also absolut vergleichbar!

Bei der Höchstgeschwindigkeit liegen beide Kopf an Kopf, mit Werten um die 360 km/h. Der entscheidende Unterschied liegt aber in der Bewegungsfreiheit. Während ein Formel-1-Auto in Kurven G-Kräfte von bis zu 6G erzeugt, kann ein eVTOL in drei Dimensionen manövrieren. Das erzeugt völlig neue Belastungen für den Piloten und erfordert ein ganz anderes Fahr-, oder besser gesagt, Fluggefühl. Von 0 auf 100 km/h geht es übrigens in unter 3 Sekunden – da kann man definitiv von einem Raketenstart sprechen.

Fliegen nach Gefühl? Eher nach Zahlen

Einen Renn-eVTOL zu steuern, ist mit nichts zu vergleichen. Ein Auto bewegt sich auf einer Ebene, ein Flugzeug hat Ruder. Ein eVTOL steuert ausschließlich über die Drehzahl seiner Rotoren. Das nennt man Schubvektorsteuerung. Das berechnet alles ein Flugcomputer in Echtzeit; ohne diese Unterstützung wäre das Ding für einen Menschen unfliegbar.

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Ein Hochhaus voller Rampen: Geniale Vision trifft knallharte Baustellen-Realität

Aber was für eine Ausbildung braucht man dafür? Eher Rennfahrer oder Jet-Pilot? Die Antwort ist: beides und doch keins von beiden. Die Piloten brauchen die räumliche Orientierung eines Kunstfliegers und die aggressiven Reflexe eines Rennfahrers. Es ist eine völlig neue Disziplin.

Damit der Pilot nicht den Überblick verliert, wird auf Augmented Reality (AR) gesetzt. Direkt ins Visier seines Helms werden die wichtigsten Daten projiziert. Stellt euch das mal vor: Ihr seht nicht nur Geschwindigkeit und Höhe, sondern eine eingeblendete Ideallinie in der Luft, die Position der Gegner als rote Boxen und eine riesige Batterieanzeige, die langsam von grün auf rot wechselt. Das Cockpit selbst ist super minimalistisch.

Sicherheit: Das A und O vor dem ersten Start

Als Handwerksmeister weiß ich: Sicherheit geht immer vor. Bei einem fliegenden Rennwagen ist das Risiko ungleich höher. Ein Fehler betrifft ja nicht nur den Piloten, sondern potenziell auch Menschen am Boden.

Das Schlüsselwort lautet hier: Redundanz. Was passiert, wenn ein Motor ausfällt? Bei einer einfachen Drohne mit vier Rotoren wäre das ein sofortiger Absturz. Deshalb haben diese Rennboliden oft acht Rotoren. Fällt einer aus, kompensieren die anderen sieben den Verlust. Der Pilot kann immer noch sicher landen. Wichtige Systeme wie Flugcomputer und Stromversorgung sind immer doppelt oder sogar dreifach vorhanden.

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Dazu kommen Kollisionsvermeidungssysteme mit LiDAR- und Radarsensoren. Die erzeugen eine virtuelle Sicherheitsblase um jedes Fahrzeug. Und wenn wirklich alles schiefgeht, gibt es als letztes Rettungsnetz einen ballistischen Fallschirm. Eine kleine Sprengladung schießt einen großen Fallschirm heraus, der den Fall so weit abbremst, dass der Pilot im verstärkten Monocoque überleben kann.

Und was kostet der Spaß?

Klar, dass so ein Stück Hightech nicht billig ist. Genaue Zahlen sind natürlich geheim, aber man kann sich an der Welt des Motorsports orientieren. Rechnet mal damit, dass so ein rennfertiger eVTOL in der gleichen Liga spielt wie ein GT3-Rennwagen. Wir sprechen hier also locker von einem Betrag von über 500.000 Euro – pro Stück, versteht sich.

Wo stehen wir heute wirklich?

Die ersten Ankündigungen waren sehr optimistisch. Die Realität hat gezeigt, dass der Weg zur bemannten Rennserie länger und steiniger ist. Die ersten Rennen fanden daher ferngesteuert statt, ohne Piloten an Bord. Das war ein extrem wichtiger Schritt, um Daten zu sammeln und zu beweisen, dass enge Rennen in der Luft überhaupt möglich sind. Wer das mal in Aktion sehen will: Sucht einfach mal auf YouTube nach Videos der ferngesteuerten eVTOL-Rennserien. Ziemlich beeindruckend!

Ein typisches Rennen soll übrigens rund 30 Minuten dauern, mit zwei obligatorischen Akku-Wechseln. Die Strecke ist dabei ein etwa 2 km langer, virtueller Kurs am Himmel, abgesteckt durch GPS-Tore. Der nächste Schritt sind jetzt die bemannten Rennen. Doch bevor der erste Pilot an den Start geht, müssen alle Sicherheitsfragen geklärt und die extrem strengen Zulassungen der Luftfahrtbehörden erteilt sein. Und das dauert eben.

Als Handwerker bin ich Realist. Ich glaube an saubere Arbeit und rigorose Tests, nicht an Wunder. Die Vision einer fliegenden Rennserie ist absolut faszinierend und treibt die Technologie an ihre Grenzen. Ob sie jemals so populär wird wie die Formel 1? Wer weiß. Aber sie wird die Luftfahrt und den Motorsport für immer verändern.

Und für uns in der Werkstatt? Das ist eine mega spannende Zeit. Die Fähigkeiten, die man heute für die Arbeit an einem Hochvolt-System eines E-Autos braucht, sind die Grundlage für die Wartung solcher Fluggeräte. Das ist Wissen, das in Zukunft Gold wert sein wird. Es ist ein langer Weg von der Hebebühne zur Rennstrecke am Himmel. Aber jede gut gemachte Lötstelle und jede korrekt angezogene Schraube bringt uns diesem Ziel einen Schritt näher. Und genau das ist es, was unser Handwerk lebendig hält.

Emma Wolf

Ich liebe es, unseren Lesern und Leserinnen praktische und einzigartige Informationen, Tipps und Life Hacks über allmögliche Themen zu geben, die sie in ihrem Alltag auch tatsächlich anwenden können. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem – neuen Trends, neuen Techniken, Projekten und Technologien.