Der Sound des Lebens: Wie wir mit Unterwasser-Lautsprechern Korallenriffen Starthilfe geben

von Emma Wolf
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Ich habe in meiner Karriere als Forschungstaucher unzählige Stunden unter Wasser verbracht. Und eins hab ich gelernt: Man muss den Riffen zuhören. Ein gesundes Riff, egal ob in der Karibik oder im Roten Meer, ist niemals still. Es knistert, knackt und brummt – ein ständiges Konzert des Lebens. Doch in letzter Zeit erlebe ich an viel zu vielen Orten eine unheimliche Stille. Wo früher das Leben tobte, herrscht jetzt Friedhofsruhe.

Diese Stille ist nicht nur ein Symptom, sie ist auch ein Ansatzpunkt. Genau hier setzen wir mit einer ziemlich coolen Technik an: Wir bringen den Sound des Lebens zurück an tote Riffe. Klingt simpel, oder? Die Idee ist, junge Fische und andere winzige Meeresbewohner anzulocken, damit sie sich ansiedeln und den Grundstein für eine neue, gesunde Korallengeneration legen. Aber ganz ehrlich, die Umsetzung ist alles andere als einfach. Sie braucht die richtige Technik, eine Menge Erfahrung und einen klaren Blick für die Grenzen des Machbaren. Das hier ist kein Allheilmittel, sondern nur ein Werkzeug in einem riesigen Kasten.

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Warum Lärm unter Wasser überlebenswichtig ist

An Land verlassen sich die meisten Tiere auf ihre Augen. Unter Wasser? Völlig andere Spielregeln. Die Sicht ist oft mies, Licht kommt nicht weit. Schall hingegen ist der Superstar im Ozean – er breitet sich viel schneller und weiter aus als an der Luft. Für unzählige Meeresbewohner ist das Gehör deshalb der wichtigste Sinn überhaupt.

Stell dir mal eine kleine Fischlarve vor, die irgendwo im offenen Meer treibt. Sie braucht dringend einen Wegweiser zu einem sicheren Zuhause. Ein gesundes Korallenriff ist da wie eine laute, blinkende Leuchtreklame, die ruft: „Hey, hier gibt’s Futter, Schutz und Partner!“ Dieses Signal ist eine komplexe Klanglandschaft, die Experten auch „Soundscape“ nennen.

Und wer macht da eigentlich den Lärm?

  • Knallkrebse: Diese kleinen Kerle sind die Rockstars des Riffs. Mit ihren Scheren erzeugen sie ein lautes Knacken, um Beute zu jagen oder miteinander zu quatschen. Tausende von ihnen erzeugen zusammen ein konstantes, hochfrequentes Brutzeln. Dieses Geräusch (meist im Bereich von 2 bis 20 Kilohertz) ist das ultimative Zeichen für ein gesundes Riff.
  • Fische: Ja, auch Fische machen Geräusche! Riffbarsche knurren, um ihr Revier zu verteidigen, Doktorfische grunzen bei der Futtersuche. Diese tieferen Töne (oft unter 1.000 Hertz) verraten viel über die Fischdichte und Artenvielfalt.

Wenn ein Riff stirbt, wird es still. Die Musiker wandern ab. Und die Larven im offenen Wasser? Die hören nichts mehr, schwimmen vorbei und suchen sich einen anderen Ort. Der Kreislauf der Wiederbesiedlung ist unterbrochen. Genau den wollen wir mit unserer „akustischen Anreicherung“ wieder ankurbeln.

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Die Technik im Detail: Was wir da wirklich im Meer versenken

Einfach einen Lautsprecher unter Wasser hängen? Vergiss es. Die professionelle Umsetzung ist eine echte Materialschlacht. Jedes einzelne Bauteil muss dem Salzwasser, dem Druck und dem ständigen Bewuchs durch Algen und Muscheln trotzen. Ich habe schon so viele Systeme scheitern sehen…

Die Lautsprecher – das Herzstück:

Normale Lautsprecher überleben keine Woche. Wir setzen auf Spezialanfertigungen. Im Grunde gibt es zwei Varianten, die sich in der Praxis bewährt haben:

  • Piezoelektrische Wandler: Das sind die robusten Arbeitstiere. Ohne bewegliche Teile, extrem langlebig und perfekt für die hohen Knackgeräusche der Krebse. Ihr Nachteil? Der Frequenzbereich ist etwas eingeschränkt. Preislich liegen die je nach Leistung so zwischen 800 € und 1.500 €.
  • Marinisierte elektrodynamische Lautsprecher: Die funktionieren im Prinzip wie ein normaler Hi-Fi-Lautsprecher, sind aber komplett versiegelt und aus Materialien wie V4A-Edelstahl oder Titan gebaut. Sie können das gesamte Klangspektrum abdecken, also auch die tiefen Fisch-Grunzer. Dafür sind sie empfindlicher und deutlich teurer – da bist du schnell bei 2.000 € bis über 3.000 € pro Stück.

Für eine Langzeitinstallation in 20 Metern Tiefe kombinieren wir meistens beide Typen. So bekommen wir den vollen, authentischen Riff-Sound hin.

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Strom und Steuerung – die unsichtbare Herausforderung:

Die größte Hürde ist oft die Energieversorgung. Ein Kabel vom Land ist extrem teuer und selten möglich. Deshalb arbeiten wir meist autark: Eine Solar-Boje an der Oberfläche sammelt Energie in Akkus und versorgt über ein spezielles Unterwasserkabel den Lautsprecher am Grund. Ein komplettes System mit Boje, Solarpanelen, Akkus und Steuerung startet übrigens selten unter 15.000 Euro.

Kleiner Tipp aus der Praxis: Sparen Sie NIEMALS bei den Steckverbindungen! Ich erinnere mich an ein Projekt, bei dem wir dachten, wir könnten ein paar Hundert Euro bei den Steckern sparen. Nach nur drei Monaten ist Wasser eingedrungen, Kurzschluss, System tot. Das hat uns am Ende eine Woche an Daten, einen teuren Taucheinsatz und eine Menge Nerven gekostet. Seitdem verwenden wir nur noch absolut hochwertige, druckdichte Steckverbinder von spezialisierten Herstellern.

So läuft ein Projekt in der Praxis ab

Planung ist alles. Wer hier improvisiert, wirft Geld und Zeit ins Meer. Ein typisches Projekt hat klare Phasen.

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Phase 1: Standortanalyse (Dauer: ca. 1-2 Wochen)

Wir können nicht einfach jedes tote Riff beschallen. Das Fundament muss stimmen. Gibt es noch ein intaktes Riffgerüst, an dem sich Larven festhalten können? Passt die Wasserqualität? Und ganz wichtig: Bringt die Strömung überhaupt Larven vorbei? Wir machen auch immer eine akustische Grundmessung mit Unterwassermikrofonen (Hydrophonen), um zu beweisen, wie still es vorher war.

Phase 2: Den richtigen Sound aufnehmen

Das ist der entscheidende Schritt! Man kann nicht einfach irgendein Riff-Geräusch von einer CD abspielen. Der Sound muss lokal sein, quasi der „Dialekt“ der Region. Also suchen wir uns ein gesundes Riff in der Nähe und machen dort tagelang Aufnahmen zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten. Diese werden dann im Studio zu einer perfekten Endlosschleife gemischt.

Phase 3: Die Installation (Dauer: meist 2-4 Tage)

Das ist schwere Teamarbeit für erfahrene Taucher. Die Solar-Boje wird sicher verankert, die Lautsprecher auf speziellen Gestellen positioniert (niemals direkt auf Korallen!) und die Kabel sauber am Boden befestigt. Lose Kabel sind eine Todesfalle für Tiere und Taucher.

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Phase 4: Betrieb und die nervige Wartung

Einmal installiert, fängt die eigentliche Arbeit erst an. Unter Wasser wächst alles zu. Algen und Seepocken, auch „Biofouling“ genannt, dämpfen den Schall. Alle paar Monate muss ein Tauchteam runter und die Lautsprecher vorsichtig sauber bürsten. Ohne diese Pflege wird das teure System schnell nutzlos.

Achtung! Die 3 häufigsten Projekt-Killer: Aus meiner Erfahrung scheitern Projekte oft an denselben drei Dingen: 1. Der falsche Sound: Es wird ein nicht-lokaler oder schlecht aufgenommener Klang verwendet, der die Larven nicht anzieht. 2. An der Hardware sparen: Billige Kabel oder Stecker werden eingesetzt, die dem Salzwasser nicht standhalten. 3. Die Wartung unterschätzen: Der Bewuchs wird nicht regelmäßig entfernt, und der Lautsprecher wird leiser und leiser, bis er wirkungslos ist.

Phase 5: Zählen, zählen, zählen

Funktioniert es denn? Das finden wir nur durch Zählen heraus. Biologen führen vor, während und nach der Beschallung sogenannte Unterwasser-Zählungen durch. Und die Ergebnisse sind oft wirklich beeindruckend. In mehreren Projekten konnten wir die Fischdichte im beschallten Bereich innerhalb von nur zwei Monaten verdoppeln und die Artenvielfalt um bis zu 50 % steigern.

Ganz ehrlich: Die Grenzen und Risiken der Methode

Ich muss an dieser Stelle eines ganz klar sagen: Akustische Anreicherung ist keine Wunderwaffe gegen das Korallensterben. Es ist eine Starthilfe, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die eigentlichen Ursachen nicht bekämpft werden, ist unsere ganze Mühe umsonst.

  • Es löst nicht das Hitzeproblem: Wenn das Wasser zu warm ist, bleichen die Korallen aus. Daran ändern auch die angelockten Fische nichts.
  • Es löst nicht das Verschmutzungsproblem: Pestizide oder Dünger, die ins Meer gespült werden, töten ein Riff. Dagegen ist unser Lautsprecher machtlos.
  • Es ist nicht unendlich skalierbar: Ein Riff von der Größe eines Fußballfeldes können wir beschallen. Das Great Barrier Reef? Technisch und finanziell unmöglich. Die Methode ist für gezielte, lokale Einsätze gedacht.

Natürlich müssen wir uns auch fragen, ob wir mit unserem künstlichen Lärm nicht vielleicht andere Tiere wie Delfine oder Wale stören. Deshalb halten wir uns strikt an naturgetreue Lautstärken (meist um 150-160 Dezibel re 1 µPa in 1 Meter Entfernung) und führen vor jedem Projekt eine gründliche Umweltverträglichkeitsprüfung durch.

Sicherheit zuerst – da gibt’s keine Kompromisse

Arbeit unter Wasser ist riskant. Kommt dann noch Strom dazu, muss man doppelt und dreifach aufpassen. Jeder in meinem Team ist ein zertifizierter Berufstaucher und wir halten uns penibel an die Sicherheitsvorschriften, wie zum Beispiel die DGUV Vorschrift 40 in Deutschland (kann man online leicht finden). Das bedeutet: Strom wird bei Wartungsarbeiten immer komplett gekappt, alle Systeme haben Fehlerstrom-Schutzschalter, und niemand taucht allein. Außerdem braucht man für so eine Installation natürlich eine Genehmigung der lokalen Umweltbehörden.

Fazit: Ein Defibrillator fürs Riff, aber kein Heilmittel

Die Akustik ist ein faszinierender Weg, um einem sterbenden Riff wieder auf die Sprünge zu helfen. Es ist ein aktiver, technischer Beitrag, und ich habe selbst gesehen, wie aus stillen Geröllfeldern wieder junge, lebendige Gemeinschaften wurden. Das treibt mich an.

Aber ich sehe unsere Technik als eine Art „Defibrillator“ für ein Riff mit Herzstillstand. Wir können den entscheidenden Impuls geben, damit es wieder selbstständig atmen kann. Lebt der Patient danach aber weiter ungesund, kommt der nächste Kollaps bestimmt. Die wirkliche Rettung der Korallenriffe findet nicht unter Wasser statt. Sie findet an Land statt – in der Politik, in der Industrie und bei jedem von uns. Nur wenn wir die Erderwärmung und die Meeresverschmutzung in den Griff bekommen, haben unsere Werkzeuge unter Wasser eine echte Chance.

Emma Wolf

Ich liebe es, unseren Lesern und Leserinnen praktische und einzigartige Informationen, Tipps und Life Hacks über allmögliche Themen zu geben, die sie in ihrem Alltag auch tatsächlich anwenden können. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem – neuen Trends, neuen Techniken, Projekten und Technologien.