Plusenergiehaus: Was es wirklich kostet und worauf es ankommt – Der Praxis-Check vom Profi

von Augustine Schneider
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Ich stehe jetzt schon seit über 30 Jahren auf dem Bau. Ganz ehrlich? Als ich damals als Zimmermann angefangen habe, war die Welt eine andere. Ein Haus musste vor allem dicht sein – gegen Regen. Wir haben solide Mauern hochgezogen und Dächer gezimmert, die Stürme überstehen. Das Wort „Energieeffizienz“ hat man höchstens mal am Rande gehört. Heute? Heute ist alles anders. Wir bauen keine reinen Schutzhüllen mehr, sondern hochkomplexe Systeme, kleine Kraftwerke, die ihre eigene Energie erzeugen. Diese ganze Entwicklung vom einfachen Niedrigenergiehaus bis hin zum echten Plusenergiehaus habe ich live miterlebt, mit allen Erfolgen und, ja, auch mit allen Pannen.

Viele Bauherren sind von den ganzen Begriffen total verunsichert: Passivhaus, Nullenergiehaus, Plusenergiehaus … was ist denn jetzt was? Im Grunde ist es eine logische Steigerung, eins baut auf dem anderen auf. Die gesetzlichen Vorgaben, die heute im Gebäudeenergiegesetz (GEG) stehen, geben nur den Mindeststandard vor. Die richtig guten Häuser gehen aber weit darüber hinaus. In diesem Beitrag zeige ich Ihnen mal ganz ohne Fachchinesisch, worauf es in der Praxis wirklich ankommt. Von der Dämmung bis zur Solaranlage – hier kommt das Wissen von unzähligen Baustellen.

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Teil 1: Die Hülle – Ohne ein gutes Fundament ist alles nichts

Bevor wir über schicke Technik wie Wärmepumpen oder PV-Anlagen reden, müssen wir über die absolute Grundlage sprechen. Das beste Heizsystem bringt nämlich gar nichts, wenn die teuer erzeugte Wärme durch Wände, Fenster und Dach einfach wieder verschwindet. Die Gebäudehülle ist das A und O. Ein Plusenergiehaus ist immer, und ich meine IMMER, zuerst ein exzellent gedämmtes und absolut luftdichtes Haus. Daran führt kein Weg vorbei.

Dämmung: Mehr als nur ein warmer Pullover fürs Haus

Die Qualität der Dämmung messen wir Profis mit dem U-Wert. Der sagt aus, wie viel Wärme pro Quadratmeter verloren geht. Ganz einfach: Je kleiner die Zahl, desto besser. Bei einem Plusenergiehaus wollen wir für die Wände U-Werte von 0,15 oder sogar besser erreichen. Zum Vergleich: Ein unsanierter Altbau hat oft einen Wert von über 1,0. Das ist, als würde man im Winter die Fenster auf Kipp lassen.

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Bei der Wahl des Dämmstoffs gibt es nicht die eine perfekte Antwort, es kommt auf eure Prioritäten an.

  • Mineralwolle (Glas- oder Steinwolle): Der absolute Klassiker. Brennt nicht, schluckt Schall super. Aber bei der Verarbeitung staubt es und kann die Haut reizen, da muss man sich schützen.
  • Polystyrol (EPS/Styropor): Kennt jeder, ist günstig und wird oft für die Fassadendämmung (WDVS) genutzt. Ein Nachteil ist der eher mäßige Hitzeschutz im Sommer. Und ganz ehrlich: Die Entsorgung am Ende ist ökologisch nicht ganz unproblematisch.
  • Holzweichfaser: Mein persönlicher Favorit, besonders im Holzbau. Das Material ist „diffusionsoffen“, es atmet also mit und sorgt für ein fantastisches Raumklima. Vor allem aber ist der sommerliche Hitzeschutz unschlagbar. An einem heißen Sommertag bleibt das Dachgeschoss damit spürbar kühler. Es kostet zwar etwas mehr – rechnet mal mit 10 bis 20 Euro extra pro Quadratmeter im Vergleich zu günstigeren Optionen – aber dieser Komfort ist es vielen wert.
  • Zellulose: Hergestellt aus recyceltem Zeitungspapier, wird in Hohlräume eingeblasen. Eine super Methode, weil alles lückenlos gefüllt wird. Das muss aber eine spezialisierte Firma machen, das geht nicht im Alleingang.

Egal, für was ihr euch entscheidet: Die Verarbeitung ist das Wichtigste! Ich habe schon Baustellen gesehen, da wurde das teuerste Dämmmaterial gekauft und dann wurde beim Einbau geschlampt. Jede kleine Lücke ist eine Wärmebrücke, durch die eure Heizkosten entweichen. Das ist pure Geldverschwendung.

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Luftdichtheit: Warum ein Haus atmen, aber nicht pfeifen darf

Ein modernes Haus muss luftdicht sein. Punkt. Das ist keine Option, sondern physikalische Notwendigkeit. Früher hat es durch alle Ritzen gezogen, was für einen unkontrollierten Luftaustausch und hohe Heizkosten sorgte. Heute dichten wir alles ab. Die Vorteile liegen auf der Hand: keine Zugluft, weniger Wärmeverluste, besserer Schallschutz.

Das machen wir mit speziellen Folien und Klebebändern. Jede Steckdose, jedes Kabel, jedes Rohr muss mit passenden Manschetten absolut dicht sein. Ich sage meinen Azubis immer: „Stellt euch vor, ihr baut ein U-Boot. Jedes noch so kleine Loch ist eine Katastrophe.“

Und das wird auch geprüft! Mit dem sogenannten „Blower-Door-Test“. Da wird ein Ventilator in die Haustür gesetzt und das Ergebnis muss stimmen. So ein Test ist übrigens nicht optional und kostet zwischen 300 und 500 Euro – und er ist jeden Cent wert! Er deckt jeden Baufehler gnadenlos auf. Ich erinnere mich an eine Baustelle, da haben wir eine Leckage zwei Tage lang gesucht. Am Ende war es eine einzige, winzige Schraube hinter einer Trockenbauplatte, die nicht richtig abgedichtet war. Daran seht ihr, wie penibel man sein muss.

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Achtung, wichtiger Hinweis: Eine luftdichte Hülle braucht ZWINGEND eine kontrollierte Lüftungsanlage. Wer das Haus abdichtet, aber bei der Lüftung spart, züchtet sich quasi Schimmel im eigenen Haus. Das ist der häufigste und teuerste Fehler bei Sanierungen!

Teil 2: Die Technik – Herz und Lunge eures Hauses

Wenn die Hülle perfekt ist, kommt die Technik. Sie sorgt für frische Luft, warmes Wasser und Strom – und zwar intelligent.

Kontrollierte Lüftung (KWL): Frischluft ohne Energieverlust

Wie gesagt, ohne geht es nicht. Das Geniale an einer KWL ist die Wärmerückgewinnung. Das System saugt verbrauchte, warme Luft (z.B. aus Küche und Bad) ab und nutzt deren Wärme, um die frische, kalte Außenluft vorzuwärmen. Moderne Anlagen schaffen über 90 % Wärmerückgewinnung. Ihr lüftet also, ohne die Heizung aufzudrehen.

Kleiner Tipp zur Wartung: Die Filter müsst ihr regelmäßig tauschen. Das ist kinderleicht und kostet im Jahr vielleicht 50 bis 80 Euro für neue Filter, die man online bestellen kann. Vergisst man das, sinkt die Luftqualität und die Anlage verbraucht mehr Strom.

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Wärmeerzeugung: Das Dream-Team für euer Zuhause

Ein Plusenergiehaus braucht kaum noch Heizwärme. Den kleinen Rest und das Warmwasser erzeugen wir komplett erneuerbar. Das Dream-Team besteht meistens aus diesen beiden:

1. Photovoltaik (PV) – Euer eigenes Kraftwerk auf dem Dach
Die PV-Anlage ist das Rückgrat des Ganzen. Sie macht aus Sonnenlicht Strom. Diesen Strom verbraucht ihr zuerst selbst. Was übrig ist, wandert in einen Batteriespeicher für die Nacht. Erst wenn der voll ist, wird der Rest ins Netz eingespeist und vergütet. Die Ausrichtung des Dachs ist wichtig, aber auch Ost-West-Dächer sind super, weil sie den Strom gleichmäßiger über den Tag verteilen – perfekt für eine Familie.

2. Die Wärmepumpe – Heizen mit Umweltenergie
Sie ist die perfekte Partnerin zur PV-Anlage. Sie nimmt kostenlose Wärme aus der Luft oder dem Erdreich und macht daraus mit dem Strom von eurem Dach wohlige Wärme für die Fußbodenheizung. Besser geht es kaum. Lasst die Anlage einmal im Jahr von einem Fachbetrieb durchchecken. Das kostet meist zwischen 150 und 250 Euro und sichert die Effizienz für die nächste Heizperiode.

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Teil 3: Der Kassensturz – Was kostet der Spaß wirklich?

Jetzt mal Butter bei die Fische. Ja, ein Plusenergiehaus ist in der Errichtung teurer. Aber wie viel teurer? Rechnet mal grob mit 15 bis 25 % Mehrkosten im Vergleich zu einem Standard-Neubau nach den aktuellen gesetzlichen Vorgaben. Diese Mehrkosten stecken in der besseren Dämmung, den dreifach verglasten Fenstern, der Lüftungsanlage und natürlich der größeren PV-Anlage mit Speicher.

Aber diese Investition zahlt sich aus. Schauen wir uns das mal an einem fiktiven Beispiel an:

Stellen wir uns Familie Meier vor, 4 Personen, 150 m² Wohnfläche. In ihrer alten Mietwohnung zahlten sie rund 2.500 € pro Jahr für Heizung und Strom. Jetzt, im neuen Plusenergiehaus, sind ihre Energiekosten praktisch bei null. Im Gegenteil: Durch die Einspeisung des überschüssigen Stroms bekommen sie am Jahresende sogar noch ca. 500 € vom Energieversorger zurück. Die höheren Baukosten amortisieren sich also über die Jahre von ganz allein, von der Unabhängigkeit von Energiepreisen und dem Komfort ganz zu schweigen.

Der Unterschied wird hier richtig deutlich:

Stell dir mal drei Haustypen vor, um den Fortschritt zu sehen:

  • Der Altbau aus den 70ern: Hohe Heizkosten (oft über 3.000 € pro Jahr), im Winter an den Ecken kalt, im Sommer unerträglich heiß unter dem Dach und es zieht an den Fenstern.
  • Der Standard-Neubau heute: Schon ziemlich gut gedämmt, Heizkosten liegen vielleicht bei 800-1.200 € im Jahr. Man erfüllt die gesetzlichen Pflichten, mehr aber auch nicht. Der Komfort ist okay.
  • Das Plusenergiehaus: Praktisch keine Heizkosten, im Gegenteil, es erwirtschaftet ein kleines Plus. Es ist im Winter überall gleichmäßig warm und im Sommer angenehm kühl. Die Luft ist immer frisch. Das ist einfach eine andere Liga von Wohnqualität.

Teil 4: Meine Top 5 Fehler, die ihr unbedingt vermeiden solltet

Im Laufe der Jahre habe ich fast alles gesehen. Hier sind die fünf teuersten Fehler, die immer wieder gemacht werden:

  1. Am Planer sparen: Der größte Fehler überhaupt. Ein guter, unabhängiger Energieberater ist Gold wert. Er spart euch am Ende ein Vielfaches dessen, was er kostet.
  2. Gewerke-Chaos: Wenn der Heizungsbauer nicht mit dem Elektriker redet und der Zimmermann nicht mit dem Fensterbauer, gibt es Katastrophen. Besteht auf regelmäßige Baubesprechungen!
  3. Technik falsch dimensionieren: Eine zu kleine PV-Anlage ärgert euch später, ein zu großer Batteriespeicher ist unwirtschaftlich. Das muss ein Profi genau für euren Bedarf berechnen.
  4. Die Hülle unterschätzen: Viele konzentrieren sich nur auf die schicke Technik und vernachlässigen Dämmung und Luftdichtheit. Falsch! Die Hülle ist die Basis für alles.
  5. Das eigene Verhalten ignorieren: Ein Plusenergiehaus ist kein Selbstläufer. Lernt, die Waschmaschine anzustellen, wenn die Sonne scheint. Moderne Smart-Home-Systeme können das aber auch automatisch für euch übernehmen.

Teil 5: Regionale Tipps und die richtigen Leute finden

Ein Haus an der Küste hat andere Anforderungen als eines in den Alpen. An der Küste müssen Materialien besonders wind- und salzwasserresistent sein. In den Bergen sind hohe Schneelasten für die Dachstatik wichtig. Kleiner Profi-Tipp für die Alpen: PV-Module dort oft mit einem steileren Winkel (z.B. 45 Grad) montieren, damit der Schnee besser abrutscht.

Und wie findet ihr die richtigen Fachleute? Spart euch langes Suchen. Googelt einfach nach der „Energieeffizienz-Expertenliste für Förderprogramme des Bundes“. Das ist die offizielle Datenbank der Profis. Wer da gelistet ist, hat seine Qualifikation nachgewiesen und kann euch auch bei Förderanträgen helfen.

Ein Plusenergiehaus zu bauen, ist eine Investition in die Zukunft. Die anfänglichen Mehrkosten sind da, keine Frage. Aber dafür bekommt ihr extrem niedrige Betriebskosten, ein fantastisches Wohngefühl und die Gewissheit, unabhängig von verrücktspielenden Energiepreisen zu sein. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, aber mit der richtigen Planung und guten Handwerkern ist es ein absolut erreichbares Ziel und der Beweis, dass solides Handwerk und moderne Technik eine unschlagbare Kombination sind.

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.