Organisch Bauen: Mehr als nur geschwungene Dächer – Ein ehrlicher Einblick aus der Werkstatt

von Augustine Schneider
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Ich bin jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit auf dem Bau unterwegs und habe wirklich schon alles gesehen. Ein Begriff, der dabei immer wieder auftaucht und für ordentlich Verwirrung sorgt, ist „organisches Bauen“. Viele denken da sofort an extravagante Villen mit runden Fenstern und welligen Dächern – schick, aber unbezahlbar. Aber ganz ehrlich? Das ist nur die Hochglanz-Fassade.

Für uns, die tagtäglich mit den Materialien arbeiten, geht es um etwas viel Grundlegenderes. Es geht darum, ein Haus wie einen lebenden Organismus zu betrachten. Ein Haus, das mit seiner Umgebung im Einklang steht, das auf Wetter und Jahreszeiten reagiert und aus Materialien gebaut ist, die dir und der Natur guttun. Klingt esoterisch? Ist es aber nicht. Komm, ich nehm dich mal mit in die Werkstatt und zeig dir, was das in der Praxis wirklich heißt – ohne theoretisches Bla-Bla, sondern mit Spänen an den Händen.

Warum ein „atmendes Haus“ keine Spinnerei ist

Wenn ein Planer von einem „atmenden Haus“ spricht, sehe ich schon die ersten Augenrollen. Dahinter steckt aber knallharte Bauphysik, die jeder verstehen kann. Wir Menschen produzieren ständig Feuchtigkeit – beim Atmen, Kochen, Duschen. In einem modernen, superdichten Haus aus Beton und Plastikfolien muss diese Feuchtigkeit über eine Lüftungsanlage rausgepustet werden. Klappt das nicht, hast du ruckzuck nasse Wände und Schimmel in der Bude.

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Organische Baustoffe wie Lehm, Holz oder Kalk können da etwas viel Besseres: Sie sind „hygroskopisch“. Das heißt, sie saugen überschüssige Luftfeuchtigkeit auf wie ein Schwamm und geben sie wieder ab, wenn die Luft zu trocken wird. Das ist keine Magie, sondern ein simpler physikalischer Prozess. Eine massive Lehmwand ist quasi deine eingebaute, kostenlose Klimaanlage für die Luftfeuchtigkeit.

Schon gewusst? Dieser Effekt ist so stark, dass in einem Badezimmer mit Lehmputz der Spiegel nach dem Duschen kaum noch beschlägt. Die Wand nimmt den Dampf einfach auf.

Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Diffusionsoffenheit. Stell dir vor, du trägst eine Regenjacke aus Plastik beim Joggen. Du schwitzt, aber die Feuchtigkeit kann nicht raus. Genau das passiert, wenn man eine Holzwand von außen mit Styropor oder einer dichten Folie zukleistert. Die Feuchtigkeit wird eingesperrt, und das Holz fängt an zu modern. Ein klassischer Sanierungsfehler, der ein Vermögen kosten kann! Eine Wand muss nach außen hin immer dampfdurchlässiger werden, damit sie atmen kann. Das ist in den geltenden Baunormen zum Wärmeschutz verankert und absolut überlebenswichtig für ein gesundes Haus.

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So packen wir das an: Techniken aus der Praxis

Genug geredet, jetzt wird’s konkret. Wie sieht das auf der Baustelle aus?

Der moderne Holzbau: Hightech trifft auf Natur

Klar, traditionelle Zimmermannskunst mit handgemachten Verbindungen ist fantastisch. Heute arbeiten wir aber oft viel präziser und schneller mit sogenanntem Brettsperrholz (CLT). Das sind massive Holzplatten, die aus kreuzweise verleimten Schichten bestehen. Damit können wir ganze Wände und Decken am Computer planen und von einer CNC-Fräse millimetergenau zuschneiden lassen. Auf der Baustelle setzen wir dann quasi ein riesiges Holz-Puzzle zusammen. Das erfordert trotzdem enormes Fingerspitzengefühl, denn Holz lebt und arbeitet. Man muss genau wissen, wie man Anschlüsse so gestaltet, dass sie dicht bleiben, dem Holz aber noch Raum zum Atmen lassen.

Die Kunst des Lehmputzes: Was für Geduldige

Lehmputz ist einer meiner absoluten Lieblingsbaustoffe. Er ist einfach ehrlich. Der Untergrund muss perfekt vorbereitet sein – sauber, trocken und am besten etwas rau. Oft spannen wir ein Gewebe aus Schilfrohr als Putzträger auf, damit der Lehm gut haftet.

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Die richtige Konsistenz beim Anmischen ist für Anfänger oft die größte Hürde. Profis sagen dann „das ist Gefühlssache“, aber das hilft dir ja nicht weiter. Kleiner Tipp für den Start: Versuch für den groben Unterputz mal eine Mischung aus einem Teil Lehm und drei Teilen Sand. Von da aus kannst du dich vortasten. Ist er zu nass, rutscht er von der Wand; ist er zu trocken, klebt er nicht.

Gut zu wissen: Ein Sack Lehm-Unterputz (25 kg) kostet dich im Fachhandel etwa 15 bis 20 Euro und reicht bei einer Schichtdicke von 1 cm für ungefähr 1,5 Quadratmeter. Das Wichtigste ist aber die Trocknung: Bloß keine Heizlüfter oder Bautrockner! Der Lehm braucht Zeit und muss langsam, über mehrere Wochen, an der Luft trocknen. Wer hier ungeduldig ist, bekommt Risse und kann von vorne anfangen.

Das Gründach: Ein Garten über dem Kopf

Ein Gründach ist so viel mehr als nur ein bisschen Erde auf dem Dach. Es ist ein komplexes System. Das Allerwichtigste: Die Dachhaut darunter muss zu 1000 % dicht und wurzelfest sein. Hier gibt es keine Kompromisse!

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Darauf kommt ein spezieller Schichtaufbau: Schutzvlies, dann eine Dränschicht (die Wasser speichert, aber Überschuss ableitet) und dann erst das Substrat. Achtung! Das Gewicht ist enorm und muss vom Statiker von Anfang an eingeplant werden. Eine extensive Begrünung mit pflegeleichten Sedum-Pflanzen wiegt im nassen Zustand schon mal 80 bis 150 kg pro Quadratmeter. Bei einer intensiven Begrünung, wo du sogar kleine Sträucher pflanzen kannst, bist du schnell bei über 300 kg/m². Das muss die Statik aushalten!

Ganz ehrlich, bei meinem ersten Gründach-Projekt habe ich eine Lektion gelernt. Wir hatten die falsche Dränage verwendet. Nach dem ersten Starkregen stand das Wasser auf dem Dach, statt abzufließen. Das war eine teure und stressige Reparatur. Man lernt nie aus!

Was kostet der Spaß und was kannst du selbst machen?

Jetzt zur Gretchenfrage: die Kosten. Seien wir ehrlich, hochwertiges, natürliches Bauen ist in der Anschaffung oft teurer. Rechne mal mit 15 bis 30 Prozent höheren Materialkosten im Vergleich zur Standardlösung aus Gipskarton und Styropor. ABER: Das ist nur die halbe Miete. Langfristig sparst du bei den Heizkosten, und der Werterhalt eines solchen Hauses ist enorm. Ein altes Fachwerkhaus steht seit Jahrhunderten, ein Fertighaus aus den Siebzigern ist oft nach wenigen Jahrzehnten ein Sanierungsfall.

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Wo kannst du als Heimwerker selbst Hand anlegen? Bei allem, was die Statik oder die dichte Gebäudehülle betrifft: FINGER WEG! Das ist was für Profis. Aber beim Innenausbau kannst du dich austoben. Holzböden verlegen oder Wände streichen ist machbar. Hier ein Mini-Tutorial für den Einstieg:

Dein erstes Projekt: Eine Wand mit Kalkfarbe streichen 1. Untergrund checken: Die Wand muss sauber, trocken und saugfähig sein. Alte Dispersionsfarben müssen runter oder mit einer speziellen Grundierung behandelt werden. 2. Richtig anrühren: Kalkfarbe kommt oft als Pulver. Rühre es nach Anleitung mit Wasser klumpenfrei an. Lass es dann eine halbe Stunde „sumpfen“ (quellen) und rühre nochmal durch. 3. Kreuz und quer auftragen: Trage die Farbe mit einer guten Bürste (nicht mit der Rolle!) im Kreuzgang auf. Das heißt, mal von links nach rechts, mal von oben nach unten. Das gibt eine lebendige, leicht wolkige Oberfläche. 4. Geduld haben: Die Farbe wirkt beim Streichen oft durchsichtig. Ihre volle Deckkraft entwickelt sie erst beim Trocknen. Also nicht in Panik verfallen und zu dick auftragen!

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Wie du die richtigen Leute für dein Projekt findest

Der beste Plan nützt nichts ohne die richtigen Handwerker. Aber woran erkennst du einen Profi, der sich mit organischen Materialien wirklich auskennt? Frag ihn direkt!

  • „Haben Sie schon öfter diffusionsoffen gebaut und können mir das Prinzip erklären?“ (Wenn er da ins Stottern kommt, ist Vorsicht geboten.)
  • „Welche Erfahrungen haben Sie konkret mit Lehmputz oder Holzfaserdämmung?“
  • „Können Sie mir Projekte zeigen, die Sie umgesetzt haben? Vielleicht kann ich sogar mit einem früheren Kunden sprechen?“

Ein guter Handwerker wird dir diese Fragen gerne und kompetent beantworten. Er ist stolz auf seine Arbeit.

Ein letztes Wort: Sicherheit geht immer vor!

Ich kann es nicht oft genug betonen: Statik und Brandschutz sind nicht verhandelbar. Ein schönes Haus, das einstürzt oder abbrennt, ist wertlos. Moderne Holzbauten sind übrigens extrem sicher. Dicke Holzelemente brennen sehr langsam und berechenbar, anders als eine Stahlkonstruktion, die bei Hitze plötzlich kollabieren kann. Trotzdem müssen alle geltenden Vorschriften, etwa zu Brandabschnitten oder der Verkleidung tragender Teile, penibel eingehalten werden.

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Und denk auch an deine eigene Gesundheit auf der Baustelle. Lehm ist schwer, und beim Sägen von Dämmplatten entsteht Staub. Eine gute Maske und Sicherheitsschuhe sind keine Option, sondern Pflicht.

Mein Fazit als Praktiker

Für mich ist organisches Bauen kein kurzlebiger Trend, sondern eine Rückbesinnung auf das, was wirklich zählt. Es ist eine Haltung, die Respekt vor dem Material, der Umwelt und den Bewohnern hat. Ja, es erfordert mehr Planung, mehr Wissen und oft auch mehr Geduld. Aber das Ergebnis ist es wert: ein gesundes, langlebiges und wunderschönes Zuhause. Und mal ehrlich, genau das wollen wir doch alle, oder?

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.